Wanderfahrt auf der Werra

Über das Ziel der Wanderfahrt, die Werra, bestand schon lange Einigkeit. Die Erkundung der Strecke durch Hans-Henning Siemens und Gerhard Ohlendorf im Frühjahr ergab dann zweierlei: Der Abschnitt von Creutzburg, in Thüringen ca. 10 km nordwestlich von Eisenach, liegt in wunderschöner Landschaft und ist noch wenig bekannt -dort müssen wir hin! - aber der besichtigte Wasserstand reicht gerade eben aus zum Rudern -bei niedrigerem Wasserstand geht es nicht. Für diesen Fall wurde eine Strecke weiter stromabwärts, ab Wanfried, ins Auge gefasst. Dreizehn Teilnehmer meldeten sich für die Wanderfahrt vom 28. bis 30. August 2009. Zwei Doppelvierer, nämlich "Stromschnelle" und "Helmer Smidt", sowie der Doppelzweier "Paul Voigts" wurden auf den Bootsanhänger geladen.

Am Morgen des 28. August, Freitag, sammelte Maximilian Meichßner mit dem Bulli, der wie üblich von Fa. Auto -Krüger gemietet war, acht Mitruderer ein, holte den beladenen Bootsanhänger und fuhr in gewohnter Weise zügig an die Werra nach Wanfried, direkt zu einer Wiese mit Anleger am linken Flussufer gegenüber dem Städtchen. Die Boote wurden abgeladen und aufgeriggert; der Hänger wurde abgestellt; so wurde es Mittag. Die Bulli-Besatzung besuchte nun die Stadt. Zunächst kehrte sie ein, gleich bei der ersten Gelegenheit, im Gasthof an der Brücke. Eine alte Kogge, die an der ebenfalls alten Hafenmauer festgemacht hat, und eine moderne Plastik aus Metall, die ein Fahrrad darstellt und die so angebracht ist, als wollte das Rad durch die Luft über den Fluss, geben dem Platz sein besonderes Gepräge. Dann folgte ein Rundgang. Es gab viele schöne Fachwerkhäuser zu sehen und alte Inschriften, aber auch Erklärungen auf neuen Tafeln zu lesen. Ein früher herrschaftliches Anwesen mit einem als Schloss bezeichneten Gebäude erwies sich als weniger sehenswert. Von Wanfried aus fuhr die Gruppe in das auf der Straße gut 20 km entfernte Creutzburg.    Sie überzeugte sich, dass dort der Wasserstand der Werra wirklich nicht ausreichte zum Rudern, warf einen Blick auf die Brücke, die die älteste Steinbrücke Norddeutschlands sein soll, sowie auf die daneben stehende Liborius-Kapelle und stieg dann den Berg hinauf zur Burg. Diese bietet nicht nur eine sehr schöne Aussicht ins Land hinunter, sondern rühmt sich auch damit, dass sich in ihr die später heiliggesprochene Elisabeth von Thüringen (1207-1231) aufgehalten habe. An diesem Nachmittag kam hinzu, dass dort gerade ein Fest stattfand und es sehr leckeren Zwetschgenkuchen gab. Die Rückfahrt führte über Wanfried hinaus bis Eschwege. Denn da wartete das "Ringhotel Eschwege Dölles Nr.1" auf uns. Hier kamen nun auch die noch fehlenden vier Ruderer an. Zum gemeinsamen Abendessen trafen sich dann alle im Gasthaus "Zur Krone". Wir hätten bei dem sehr warmen Sommerwetter gern draußen gesessen, aber da war nicht mehr genug Platz.

Mit einer gewissen Spannung wurde die Einteilung der Mannschaften und Boote erwartet. Sie erfolgte am Sonntagmorgen vor der Abfahrt vom Anleger in Wanfried, und zwar so:

  • Paul Voigts
    • Rüdiger Zemlin
    • Kai Goette
    • Christian Hesse
  • Stromschnelle
    • Wolfgang Wahrenburg
    • Klaus Offeney
    • Maximilian Meichßner
    • Bernd Bruns
    • Heinz Bitter
  • Helmer Smidt
    • Horst Knoke
    • Günter Brackhahn
    • Hans-Henning Siemens
    • Gerd Brüggemann
    • Gerhard Ohlendorf.


Kurz nach 10.00 Uhr ging es los -aber nicht weit. Die "Stromschnelle" hatte als erste abgelegt, und als die anderen Mannschaften noch dabei waren, ihre Boote ins Wasser zu bringen, sahen sie, dass etwa 100 Meter entfernt die Mannschaft der "Stromschnelle" im Wasser stand. Das Boot war auf Grund gelaufen. Ein Schrecken erfasste alle: Ist das Boot heil geblieben? Doch die "Stromschnelle", vom Gewicht der Ruderer befreit, schwamm wieder. Sie wurde in etwas tieferes Wasser geschoben, die Mannschaft kletterte hinein und setzte die Fahrt fort. Dem Schrecken folgte eine Mischung von Mitleid, Schadenfreude und der Sorge, dass es einem selbst nicht besser gehen könne. Aber die beiden folgenden Mannschaften, vor der Gefahr gewarnt, passierten die schwierige Stelle ohne Halt. Doch schon wenig später hatten auch sie erste Grundberührung und danach alle drei Boote noch mehrmals. Es knirscht dann schrecklich und macht Angst, dass das Boot leck schlagen könnte. Einmal blieb "Helmer Smidt" in einer Kiesbank stecken und konnte erst weiter, nachdem der Steuermann und Nr. 1 ausgestiegen waren. Das Wieder-Einsteigen war für beide nicht einfach. Denn das Boot musste ja in etwas tieferes Wasser gebracht werden und da ist die Strömung stärker und reißt einen leicht um. Der Steuermann Günter Brackhahn rutschte erst einmal aus und tauchte fast ganz unter, bevor es ihm gelang, die Bordwand zu überwinden.

Das Wetter war ideal. Es herrschte Sonnenschein, gab keinen Regen, war warm, aber nicht  zu warm; auch im Wasser fror man nicht so bald.

Nach den ersten zehn Kilometern wurde die Schleuse in Eschwege erreicht und ohne nennenswerte Probleme passiert, alle drei Boote und dazu noch zwei Kanus zugleich in der Schleusenkammer. Nach eiteren zwölf Kilometern legten wir in Kleinvach an und machten Mittagspause. Danach ruderten wir sieben Kilometer und kamen gegen 15.30 Uhr ans Tagesziel, Bad Soden-Allendorf. Hatten wir im ersten Streckenabschnitt einen Turm auf einem Berg bei Eschwege lange im Blick  - er sah aus wie ein Bismarckturm und heißt, wie später festgestellt, auch Bismarckturm - erschien im letzten Abschnitt das Schloss Rothestein auf halber Bergeshöhe vor Bad Soden-Allendorf immer wieder vor unseren Augen. Am Ziel legten wir an der rechten Seite, also in Allendorf, bei einem Bootshaus an und brachten die Boote dort auf eine Wiese.

Während nun mehrere mit einem Pkw nach Wanfried fuhren und den Bulli holten, machten die anderen einen Bummel durch Allendorf. Sie besahen schöne renovierte Fachwerkhäuser und einen besonderen mit Pflanzen der Bibel ausgestatteten Garten an der alten Kirche. Außerdem klärten sie die Frage, auf welchem Wege am nächsten Tag die Fahrzeuge und der Bootsanhänger nach Witzenhausem, unserem Zielort, gebracht werden könnten; denn am nächsten Tag war Radfahrer-Sonntag und deshalb waren die Bundesstraße 27 und andere Straßen in diesem Bereich für Kraftfahrzeuge gesperrt. Mit Pkw und Bulli kehrten wir sodann zurück nach Eschwege und konnten dort in der Stadthalle in einem Extraraum an großer Tafel fast festlich Abendbrot essen.

Am nächsten Tage erwarteten wir ein eher unbeschwertes Rudern. Die Werra hatte ja bis Bad Soden-Allendorf durch mehrere Flüsschen und Bäche Wasser dazubekommen und war bereits zur Bundeswasserstraße geworden. Gegen 10.00 Uhr waren wir alle am Anleger in Allendorf angekommen und abfahrbereit. Hoffnungsvoll fuhren wir los. Doch wir kamen nicht weit. Nach etwa 250 Metern erreichten wir die Schleuse und lasen: "Schleuse geschlossen wegen Niedrigwasser." Wir mussten also umtragen. Der Weg dafür war schmal, aber es gelang. Nun konnten wir wieder rudern. Im Schleusengraben war in der Mitte genügend Wasser, und bald erreichten wir nach den Zuläufen von den Wehren wieder die richtige Werra. Um 12.30 Uhr bemerkte Christian Hesse, dass wir in den eineinhalb Stunden eineinhalb Km zurückgelegt hatten. Die weitere Strecke führte auf der hessisch-thüringischen Grenze, der früheren Zonengrenze entlang. Sie rief Erinnerungen wach, wie man früher, wenn man auf der B 27 oder in der Eisenbahn dort fuhr,  die Grenzbefestigungen sah und an "drüben" dachte.

Doch der Fluss erforderte auch weiterhin viel Aufmerksamkeit, vor allem für die Steuerleute. Eine glatte Wasseroberfläche deutete darauf hin, dass unter ihr das Wasser flach war, vermutlich zu flach für unsere Boote. Wenn das Wasser spritzte und schäumte, zeigte dies, dass dort größere Steine lagen und man da keinesfalls hinkommen durfte. Die Bereiche dazwischen galt es zu finden, und das musste schnell gehen. Denn die Strömung war beachtlich und es musste gerudert werden, damit das Boot schneller als die Strömung fuhr und der Steuermann auch steuern konnte. Trotz aller Aufmerksamkeit kam es bei allen drei Booten - sie fuhren in der Reihenfolge "Paul Voigts" - "Stromschnelle" - "Helmer Smidt" - mehrmals zu Grundberührungen. Einmal musste die Mannschaft des Zweiers "Paul Voigts" ganz schnell aussteigen, um nicht festzufahren.

Unglück aber hatte der Vierer "Helmer Smidt". Das war in der Nähe des Kilometerschildes 53, also etwa vier Kilometer nach der Abfahrt und 15 Kilometer vor dem Ziel; das thüringische Dorf Wahlshausen war passiert, Lindewerra noch nicht erreicht. Dort fuhr das Boot auf Grund und es drang Wasser ein, gleich an mehreren Stellen. Auch war das Steuer - wohl schon etwas vorher - nicht mehr in Ordnung. Was war zu tun? Aussteigen und das Boot in tieferes Wasser Schieben war das erste, Weiterrudern und Schöpfen das zweite. Aber das genügte nicht. Es kam mehr Wasser in das Boot als ausgeschöpft werden konnte. Also mussten wir an Land. Aber wo? An beiden Ufern waren steile Böschungen, über zwei Meter hoch. Da war Anlegen zwecklos. Doch dann kam eine Stelle mit einem etwa eineinhalb Meter breiten Streifen Boden zwischen dem Wasser und dem Fuß der Böschung. Da mussten wir hin. Das Wasser im Boot stieg schon bedenklich. Aber erst mussten wir noch wenden. Denn Anlegen konnte man da, wenn überhaupt, nur gegen den Strom. Wir erreichten das Ufer ohne weiteren Schaden, etwa durch Steine, zu nehmen, und stiegen aus. Doch was nun? Eine neue Technik wurde entwickelt und gleich angewandt: Alle acht Skulls wurden von der Landseite aus unter das Boot geschoben und das Boot dann auf ihnen wie auf Helgen höher an Land gezogen und geschoben. Wir hatten zwar Sorge, dass die Skulls unter dem Gewicht des wasserbeladenen Bootes brechen könnten; aber sie brachen nicht. Nun konnten wir das Boot am Heck anheben und das meiste Wasser am Bug hinauslaufen lassen. Danach konnten wir das Boot hochheben, wenden und auf den Skulls wie auf Böcken ablegen. Wir stellten an vier Stellen Risse in der Bootshaut fest, trockneten sie mit einem Handtuch und klebten die Risse mit Paketband zu. Das Boot wurde wieder ins Wasser eingesetzt, die Mannschaft stieg ein und bemerkte, dass noch zwei Stellen undicht waren und Wasser hereinkam. Also wurde das Reparatur-Manöver wiederholt. Das Ganze hatte etwa eineinviertel Stunden gedauert, dann wurde die restliche, 15 km lange Strecke gerudert, ohne Unterbrechung und ohne besondere Ereignisse, jedoch mit einem Blick zur Burg Hanstein auf der rechten Seite und einem Blick zur Burg Ludwigsstein auf der linken Seite des Flusses. Erschwert wurde die Fahrt dadurch, dass der Steuermann das Steuer nicht mehr benutzen konnte und nur mit den Kommandos, welche Seite überziehen solle, die Richtung bestimmen konnte. Das war bei der Strömung und ihren vielen Bögen nicht einfach.

Am Ziel, dem Gelände des Kanu-Club Witzenhausen, um 15.45 Uhr wurden die Nachzügler von den anderen beiden Mannschaften schon sehr erwartet und, als diese von dem Vorfall erfahren hatten, bedauert. Nach einer gemeinsamen Stärkung in einem nahe gelegenen Kaffeegarten folgte die Rückfahrt mit Pkws und Bulli. In Erinnerung bleiben wird uns von dieser eindrucksvollen Wanderfahrt nicht nur das flache Wasser mit seinen Tücken, sondern ebenso die oft ganz wunderschöne Aussicht auf die Berge rechts und links des Flusses, das gute Wetter an beiden Tagen und die harmonische Kameradschaft.

Gerhard Ohlendorf












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